Vorwort zur Ausstellung „BIJOU CONTEMPORAIN“ im Espace Solidor, Cagnes-Sur-Mer,

01. September – 05. November 2001

 

 

 

Wird, so frage ich mich, Michaela Kirchner es richtig verstehen, wenn ich dem Vorwort zu diesem Katalog ein vielleicht allzu romantisches Bild voranstelle.

Mädchen suchen Blumen, reihen sie aneinander, verbinden sie auf die einfachste Art und setzen sich diese leichthin gefertigten Gebilde aufs Haar. Das ist ein sehr kindlicher, unschuldiger Vorgang, der im Grunde jedoch sehr viel über das Schmuckmachen und auch das Schmücken aussagt. Kinderkränze sind ein Schmuck, ein archaischer, ein archetypischer, wenn man so will.

Als Schmuckkünstler zu dieser spielerischen Selbstverständlichkeit, zu dieser Einfachheit zurückzufinden und dies auf natürliche Weise zum Ausdruck zu bringen, ist – so sagt man – das Schwierigste auf der Welt. Zu überlagert ist heute die Formfindung von klischeehaften Formvorstellungen, selbst dann wenn man bemüht ist, bewusst avantgardistisch und in Protesthaltung zu entwerfen und zu gestalten.

Michaela Kirchner besitzt diese – ich denke sehr seltene – Begabung zu Einfachheit. Sie sucht beispielsweise am Strand nach Glasstücken, nach Scherben, die von Brandung und Sand glattgeschliffen wurden und die dadurch jene unvergleichlich matte Oberfläche erhielten. Sie riechen noch etwas nach Salz, sagt sie. Sie reiht diese weichkantigen gläsernen Bruchstücke aneinander und verbindet sie mit einem simplen Draht. Das haben andere vor ihr auch schon gemacht. Aber in der Art, wie sie dies ausführt, entsteht mehr als nur eine Gliederkette aus Fundstücken. Es gelingt ihr, etwas sichtbar zu machen: Die spezifische Ästhetik des Materials Glas, seine Farbigkeit und Transparenz, die formende Kraft des Meeres und der Zeit, deren Vergänglichkeit.

Die Fähigkeit des Sichtbar–Machens resultiert aus ihrer Begabung, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Ästhetik auch in den beiläufigen, den sog. Wertlosen Dingen zu sehen, ohne dass sie dabei die so oft gebrauchte Recycling–Idee strapazierte.

Es gibt in ihrem Werk eine Reihe von Schmuckstücken, die es hier als Beispiele zu nennen gilt.

Ihre Kette aus Schuh–Absatz–Eisen z.B. Gibt es diese Eisen heute noch? Ich kenne sie nur aus Kindertagen. Ob Michaela Kirchner sie einem alten Schuhmacher abkaufte, als er seine Werkstätte auflöste?

Oder ihre federleichten gespinstartigen Colliers aus Industriedrähten oder Angelschnüren, wie man sie bei der Fischerei verwendet. Kleine Perlen sind in sie eingeknüpft.

Es sind oft unübliche Materialien, die sie faszinieren, die sie gern auf ungewöhnliche Weise in ihre Arbeit mit einbezieht. Mitunter erhitzt sie z.B. Angelschnüre, um sie lockig, gewellt oder kraus werden zu lassen.

Doch um keine Zweifel aufkommen zu lassen, Michaela Kirchner ist Goldschmiedin. Niemals dilettiert sie bei diesen Materialexperimenten. Sie beherrscht die Techniken ihres Metiers mit hoher Meisterschaft. Das zeigt sich bei den Hohlkörpern, die sie für ihre Linsenkette geschmiedet hat und in der sie eine klassische Naturform in Edelmetall umsetzt.

Formal sucht Michaela Kirchner immer Lösungen, die bewusst dem traditionellen, klassischen Formenkanon des Schmuckes verpflichtet sind. Es liegt ihr nicht daran, ein Formverständnis, das über Jahrtausende gewachsen ist, zu sprengen. Michaela Kirchner ist keine Goldschmiedin des extrovertierten, plakativen, signalhaften Schmucks. Sie ist eine Künstlerin, die eine Verinnerlichung anstrebt. Es gelingt ihr, traditionellen Schmuckformen und Techniken eine neue Leichtigkeit zu geben. Die Zartheit ihres Schmucks entsteht meist durch die Transparenz oder Fragilität des Materials, das sie verwendet.

Verständlich ist freilich, dass diese Schmuckkünstlerin eine sehr starke Affinität und große Vorliebe zum Schmuck der Naturvölker hat. Immer wieder klingen beispielsweise in ihrer Arbeit Motive des afrikanischen Schmucks an, oft greift sie auch auf dessen Grundmaterialien zurück. Dem symbolischen Wert , den die Afrikaner dabei der Farbe oder Form eines Schmuckstückes zuweisen, erweist sie Respekt – der Schutzfarbe Rot, der Bedeutung von Schutzsteinen, z.B. Karneol oder Achat, der magischen Form des Dreiecks. Solchen Werten ordnet sie ihre Arbeit unter, reichen doch Symbole, die heute noch lebendig sind, zu den Urwurzeln des Schmuck–Machens hinab. Es scheint für Michaela Kirchner so etwas wie eine Mitte zu geben, aus der zu allen Zeiten und Epochen die jeweils für sie typischen Schmuckformen wuchsen. Dessen hat sich – so glaubt sie – der heute gestaltende Schmuckkünstler durchaus noch immer bewusst zu sein.

 

 

Peter Nickl